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figur_grund [25.07.2022 18:52] stemberger |
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//Angelika Böhm, Wien// | //Angelika Böhm, Wien// | ||
- | Das Begriffspaar Figur und Grund in seiner konkreten wahrnehmungspsychologischen Bedeutung geht auf die Forschungsarbeiten des dänischen Psychologen und Phänomenologen Edgar Rubin über visuell wahrgenommene Figuren (1915, 1921) zurück. Das Begriffspaar meint mehr und etwas anderes als das alltagssprachliche „im Vordergrund sein“ oder „im Hintergrund sein“. Gemeint sind vielmehr solche Fälle, wo man in der Wahrnehmung etwas als Figur erlebt, das sich – begrenzt von einer Kontur – von einem darunter liegenden, unter ihm durchgehenden Grund abhebt. Dieses „eins //auf// dem anderen“ unterscheidet solche Fälle also von Konstellationen, | + | ==== Pionier der Figur-Grund-Forschung: |
+ | Das Begriffspaar Figur und Grund in seiner konkreten wahrnehmungspsychologischen Bedeutung geht auf die Forschungsarbeiten des dänischen Psychologen und Phänomenologen | ||
- | Rubin hat die Phänomenologie dieser Art von Figur/ | + | Rubin hat die [[phaenomenologie|Phänomenologie]] dieser Art von Figur/ |
In der Gestaltpsychologie wurden die Untersuchungen Rubins sehr positiv aufgenommen. Mit Hilfe der eigenen Forschungsbefunde über die Gestalt-Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Wahrnehmung ließen sich die von Rubin beschriebenen Figur/ | In der Gestaltpsychologie wurden die Untersuchungen Rubins sehr positiv aufgenommen. Mit Hilfe der eigenen Forschungsbefunde über die Gestalt-Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Wahrnehmung ließen sich die von Rubin beschriebenen Figur/ | ||
+ | ==== Eigenheiten von Figur und Grund ==== | ||
Wird etwas in der visuellen Wahrnehmung als Figur wahrgenommen, | Wird etwas in der visuellen Wahrnehmung als Figur wahrgenommen, | ||
- | Selbst bei der visuellen Wahrnehmung wird oft von "Figur auf Grund" gesprochen, obwohl gar nicht von zweidimensionalen Sachverhalten die Rede ist, sondern eigentlich // | + | Selbst bei der visuellen Wahrnehmung wird oft von "Figur auf Grund" gesprochen, obwohl gar nicht von zweidimensionalen Sachverhalten die Rede ist, sondern eigentlich // |
Die konkrete Herkunft und Bedeutung des wahrnehmungspsychologischen Figur/ | Die konkrete Herkunft und Bedeutung des wahrnehmungspsychologischen Figur/ | ||
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Welches Bezugssystem bzw. welches Geflecht von Bezugssystemen in Wahrnehmung, | Welches Bezugssystem bzw. welches Geflecht von Bezugssystemen in Wahrnehmung, | ||
+ | ==== Figur/ | ||
Es gibt auch Fälle, wo die Figur-Grund-Gliederung nicht nur //ein// mögliches Bezugssystem neben vielen anderen ist, sondern zugleich auch das " | Es gibt auch Fälle, wo die Figur-Grund-Gliederung nicht nur //ein// mögliches Bezugssystem neben vielen anderen ist, sondern zugleich auch das " | ||
+ | ==== Unterschiede Bezugssystem und Teil/ | ||
Im Unterschied zur Beziehung zwischen dem Teil zum Ganzen kennzeichnet Bezugssysteme (und damit auch die Figur-Grund-Beziehung) die einseitige Begrenzung: „Nimmt man einen Teil aus einem Ganzen, so entsteht eine Lücke; nimmt man aber einen Gegenstand aus seinem Bezugssystem, | Im Unterschied zur Beziehung zwischen dem Teil zum Ganzen kennzeichnet Bezugssysteme (und damit auch die Figur-Grund-Beziehung) die einseitige Begrenzung: „Nimmt man einen Teil aus einem Ganzen, so entsteht eine Lücke; nimmt man aber einen Gegenstand aus seinem Bezugssystem, | ||
- | ====Nicht alles, was auffällt==== | + | ====Nicht alles, was auffällt, ist Figur auf Grund==== |
In den Gesetzen des Sehens (1975) wendet sich Metzger gegen eine unpräzise Verwendung der Figur-Grund-Begriffe. Er spricht vom „Figur-Grund-Verhältnis zweiten Grades“, wenn sich aus einer Menge artgleicher Glieder ein auffälliges heraushebt und den Blick auf sich zieht: „Die Menge der gleichartigen Glieder nimmt dabei ebenso eine Art von Grund-Charakter an. In manchen Arbeiten (z.B. von Ehrenstein) wird daher das auffallende Glied solcher Gruppen kurzerhand als ‚die‘ Figur bezeichnet. Doch ist dieser Sprachgebrauch unzweckmäßig. Es fehlt ein entscheidendes Merkmal des echten Figur-Grund-Verhältnisses: | In den Gesetzen des Sehens (1975) wendet sich Metzger gegen eine unpräzise Verwendung der Figur-Grund-Begriffe. Er spricht vom „Figur-Grund-Verhältnis zweiten Grades“, wenn sich aus einer Menge artgleicher Glieder ein auffälliges heraushebt und den Blick auf sich zieht: „Die Menge der gleichartigen Glieder nimmt dabei ebenso eine Art von Grund-Charakter an. In manchen Arbeiten (z.B. von Ehrenstein) wird daher das auffallende Glied solcher Gruppen kurzerhand als ‚die‘ Figur bezeichnet. Doch ist dieser Sprachgebrauch unzweckmäßig. Es fehlt ein entscheidendes Merkmal des echten Figur-Grund-Verhältnisses: | ||
- | Auf derartige Fälle nimmt Metzger schon in seiner Psychologie Bezug: „Wenn man in einer Ansammlung unter sich gleichartiger, | + | Auf derartige Fälle nimmt Metzger schon in seiner |
Man kann also nicht einfach davon ausgehen, dass die Figur-Grund-Gliederung in jeder gegebenen Situation das Bezugssystem des gerade ablaufenden Geschehens ist. Es geht vielmehr immer um die Klärung, welches Bezugssystem gerade in der Wahrnehmung und im Erleben bestimmend ist. Die in der Literatur häufig vorzufindende Verallgemeinerung des Figur-Grund-Prinzips ist deshalb falsch. Alles anschaulich Gegebene (und das sind nicht nur Sachverhalte des Sehens) hat ein Bezugssystem (oder auch mehrere), dieses Bezugssystem ist aber nur in besonderen Fällen das Figur-Grund-System und – wie oben gezeigt wurde – nicht immer das der Situation angemessene. | Man kann also nicht einfach davon ausgehen, dass die Figur-Grund-Gliederung in jeder gegebenen Situation das Bezugssystem des gerade ablaufenden Geschehens ist. Es geht vielmehr immer um die Klärung, welches Bezugssystem gerade in der Wahrnehmung und im Erleben bestimmend ist. Die in der Literatur häufig vorzufindende Verallgemeinerung des Figur-Grund-Prinzips ist deshalb falsch. Alles anschaulich Gegebene (und das sind nicht nur Sachverhalte des Sehens) hat ein Bezugssystem (oder auch mehrere), dieses Bezugssystem ist aber nur in besonderen Fällen das Figur-Grund-System und – wie oben gezeigt wurde – nicht immer das der Situation angemessene. | ||
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====Literatur==== | ====Literatur==== | ||
+ | * Duncker, Karl (1928): Über induzierte Bewegung. // | ||
+ | * Ehrenstein, Walter (1928): Untersuchungen über Bewegungs- und Gestaltwahrnehmung. III. Mitteilung. //Archiv für Psychologie, | ||
+ | * Ehrenstein, Walter (1942): //Beiträge zur ganzheitspsychologischen Wahrnehmungslehre// | ||
* Fuchs, Thomas (2020): [[https:// | * Fuchs, Thomas (2020): [[https:// | ||
* Fuhr, Reinhard (2000): Gestaltbegriff. In: Stumm, Gerhard & Alfred Pritz (Hrsg.) // | * Fuhr, Reinhard (2000): Gestaltbegriff. In: Stumm, Gerhard & Alfred Pritz (Hrsg.) // | ||
* Heider, Fritz (1927/ | * Heider, Fritz (1927/ | ||
* Koffka, Kurt (2008/ | * Koffka, Kurt (2008/ | ||
+ | * Linschoten, J. (1952): Experimentelle Untersuchung der sogenannten Induzierten Bewegung. // | ||
* Metzger, Wolfgang (1950): Zum gegenwärtigen Stand der Psychophysik. In: // | * Metzger, Wolfgang (1950): Zum gegenwärtigen Stand der Psychophysik. In: // | ||
* Metzger, Wolfgang (1966): Figural-Wahrnehmung. In: //Handbuch der Psychologie, | * Metzger, Wolfgang (1966): Figural-Wahrnehmung. In: //Handbuch der Psychologie, |