====== Gesamtfeld, anschauliches ====== [EN: total field, phenomenal] //[[http://www.oeagp.at/cms/index.php?page=gerhard_stemberger|Gerhard Stemberger]], Wien und Berlin// In den meisten Wahrnehmungssituationen geht es in mehr oder weniger ausgeprägter Weise nicht nur um die jeweilige Beschaffenheit der Wahrnehmungsgegenstände, mit denen die Person zu tun hat, sondern geht auch das Beobachter-Ich in das Wahrnehmen und Erleben mit ein – jedenfalls immer dann, wenn beim Hinwenden zum Gegenstand das Ich mit­erlebt wird. Für diese Erlebnissituationen, mit denen wir es in der Psychotherapie in erster Linie zu tun haben, hat Wolfgang Metzger den Begriff des [[anschaulich|anschaulichen]] Gesamtfeldes geprägt: Das anschau­liche Gesamt­feld schließt also das wahrnehmende und handelnde Subjekt ein (Metzger 2001, 194). Insofern kann man hier demnach umfassender von einem **anschaulichen Gesamt-Erlebnisfeld** im Sinne nicht nur eines //Wahrnehmungs//feldes, sondern eines Wahrnehmungs- und //Handlungs//feldes oder //Aktions//feldes sprechen. Der Begriff des anschaulichen Gesamtfeldes ist mit Kurt Lewins psychologischem Konstrukt „[[lebensraum|Lebensraum]]“ zwar nicht deckungsgleich, aber insofern verwandt, als sowohl der Begriff des anschaulichen Gesamtfeldes als auch das Konstrukt des Lebensraums den Blick auf die enge dynamische Wechselbeziehung zwischen anschaulichem Ich und anschaulicher Umwelt in Wahrnehmung und Verhalten richten. Das Gesamtfeld kann a) zu einem hinsichtlich Ich und Umgebung annähernd koordinativen Erleben führen (**annähernd koordinatives Gesamtfeld**), b) zu einem ich-akzentuierten Erleben (**ich-akzentuiertes Gesamtfeld**) oder c) zu einem umgebungs-akzentuierten Erleben (**umgebungs-akzentuiertes Gesamtfeld**) (Kohl 1956, 3; Rausch 1966, 873). Kurt Kohl erläutert diese drei grundlegenden Ausprägungen folgendermaßen: * Im hinsichtlich Ich und Umfeld mehr oder weniger //**koordinativen Anschauungsfeld**// sind Umwelt und Ich im mehr oder weniger ausgeglichenen Gewichtsverhältnis vertreten (Beispiel: Kind steht einem Hund gegenüber, von dem es angebellt wird.) * Im //**ich-betonten Anschauungsfeld**// ist das Ich die Hauptsache, Thema, als Figur besonders hervorgehoben (Beispiel: Kind, nachdem es vom Hund gebissen worden ist). * Ein //**umgebungs- oder umfeldbetontes Anschauungsfeld**// liegt z.B. vor, wenn Gegenstände oder Vorgänge einfach betrachtet werden - das Ich tritt dabei zurück. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich aus dem anschaulichen Gesamtfeld ein weiteres Gesamtfeld ausgliedern. Im Anschluss an Untersuchungen von Edwin Rausch (1982) hat Gerhard Stemberger diese Phänomene in seinem [[mehrfelderansatz|Mehr-Felder-Ansatz]] für die Psychotherapie erschlossen. ==== siehe auch: ==== * [[feld_psychologisches|Feld, psychologisches]] * [[feldkonzepte_psychologische|Feldkonzepte, psychologische]] * [[lebensraum|Lebensraum]] * [[mehrfelderansatz|Mehr-Felder-Ansatz]] ==== Literatur: ==== * Kohl, Kurt (1956): //Zum Problem der Sensumotorik. Psychologische Analysen zielgerichteter Handlungen auf dem Gebiet des Sports//. Frankfurt: Waldemar Kramer * Metzger, Wolfgang (2001): //Psychologie. Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit Einführung des Experiments//. Wien: Krammer (6. Auflage). * Rausch, Edwin (1966): Das Eigenschaftsproblem in der Gestalttheorie der Wahrnehmung. //Handbuch der Psychologie//, Bd. 1, 1. Hbd., Göttingen: Hogrefe, 866-953. * Rausch, Edwin (1982): //Bild und Wahrnehmung – Psychologische Studien ausgehend von Graphiken Volker Bußmanns//. Frankfurt: Waldemar Kramer. * Stemberger, Gerhard (2009): [[https://www.academia.edu/2010913/|Feldprozesse in der Psychotherapie. Der Mehr-Felder-Ansatz im diagnostischen und therapeutischen Prozess.]] //Phänomenal – Zeitschrift für Gestalttheoretische Psychotherapie, 1//(1), 12-19. * Stemberger, Gerhard (2018): [[https://www.academia.edu/37274736/|Über die Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Ein Mehr-Felder-Ansatz zum Verständnis menschlichen Erlebens. Mit Diskussionsbeiträgen von Michael B. Buchholz, Jürgen Kriz, Rainer Kästl]]. //Gestalt Theory, 40//(2), 207–234. --------------- {{:img_20170620_0001.jpg?200 |}} **Das klassische Grundlagenwerk zur Gestalttheorie** **Wolfgang Metzger: Psychologie. Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments** Wien: Verlag Wolfgang Krammer ISBN 978 3 901811 07 9 | 407 Seiten | Preis 45,00 Euro [[mailto:info@oeagp.at|Nun direkt bei der ÖAGP-Geschäftsstelle zu beziehen]]