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Projektion

Thomas Fuchs, Bonn

Tiefenpsychologische Sicht

Mit dem Begriff der „Projektion“ wird in der Regel die Abwehr eines inneren Konfliktes mit Hilfe einer (nicht bewussten) Verlagerung einer Eigenschaft, eines Gefühls, einer Empfindung etc. der eigenen Person auf eine andere Person bezeichnet. Aus „Ich bin wütend“ wird „Du bist wütend“ oder aus „Ich bin eifersüchtig“ wird „Du bist eifersüchtig“ usw. In diesem Sinn wird der Begriff in allen tiefenpsychologischen Theorien verwendet. Abgewehrt werden also unlustvolle Gefühle und Empfindungen, die sozusagen „lieber“ beim Anderen angesiedelt werden als in der eigenen Person (Abwehr als Kompromissbildung). Ein weiteres nicht bewusstes Motiv – so Freud in „Jenseits des Lustprinzips“– sei der Vorteil, dass durch diese Verlagerung der Angriff von außen komme (Freud 1920, GW XII, 29). Angriffe von außen seien immer besser abzuwehren als Angriffe von innen. Der tiefenpsychologische „Projektions“begriff (nicht das Phänomen als solches) ist aber gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch.

Einwände gegen die tiefenpsychologische Sicht

Zunächst verwirrt die unstimmige begriffliche Analogie aus Physik und Psychologie: In der Optik wird von Projektion gesprochen, wenn ein Objekt mit Hilfe einer Linse oder eines Linsensystems durch Strahlen, die alle vom selben Punkt ausgehen (Zentralprojektion), oder durch parallele Strahlen (Parallelprojektion) auf einer Bildebene abgebildet wird. Die in der Tiefenpsychologie zur psychischen „Projektion“ geäußerten Vorstellungen sind von dieser Herkunft des Begriffs aus der Optik kontaminiert, auch wenn sie ihr nicht in allen Bestimmungselementen konsequent folgen. Konsequent wäre ja, das so zu verstehen: Das „Original-Objekt“ bleibt am ursprünglichen Platz (z.B. das Diapositiv im Projektor), während auf der Bildebene eine bloße Abbildung davon erscheint, die sich vom Objekt wesentlich unterscheiden kann (z.B. zweidimensionale Projektion eines dreidimensionalen Objekts). Wenn also jemand z.B. seine Eifersucht auf einen anderen Menschen „projiziert“, bliebe das „Original-Objekt“, seine Eifersucht, bei ihm, während auf dem anderen nur ein mehr oder weniger entsprechendes Abbild seiner Eifersucht erschiene.

So sähe eine konsequente Übertragung des optischen Modells aus, die allerdings in keiner Weise dem Erleben entspricht. Dort fehlt ja charakteristischerweise gerade der Eindruck, dass das „Original-Objekt“ bei mir bleibt, und auch das Erscheinen der Eifersucht beim anderen hat keineswegs Bildcharakter. In der Hinsicht scheint die Tiefenpsychologie ihr aus der Optik entlehntes „Projektions“-Modell aber ohnehin nicht konsequent „anzuwenden“; es fehlen m.W. auch Überlegungen zu den Entsprechungen, die die Elemente der apparativen Vorrichtung (Linsensystem) und der Übertragungswege (Strahlen) im Psychischen haben könnten.

Kritisch-realistische Sicht

Die begriffliche Verwirrung hat ihre Entsprechung in einer erkenntnistheoretischen Verwirrung hinsichtlich der Frage, was bei der Projektion „innen“ und „außen“ ist bzw. auf welchen unerklärlichen Wegen das „Projizierte“ „aus dem Inneren“ des Projizierenden „nach außen“ auf den „Empfänger und nunmehrigen Träger des Projizierten“ gelangt. Aus kritisch-realistischer Perspektive besteht dieses Problem nicht: Ihr zufolge spielt sich der gesamte Vorgang der „Projektion“ innerhalb der phänomenalen Welt des „Projizierenden“ ab, weil auch der von ihm erlebte Andere immer Teil seiner eigenen phänomenalen Welt ist. Sein Gegenüber im transphänomenalen Sinn, also der andere Organismus als Träger einer eigenen phänomenalen Welt, bleibt davon „unangetastet“. (Denkbar ist allerdings, dass in weiterer Folge indirekt eine Wirkung auf diesen anderen ausgeübt wird als Folge z.B. meines misstrauischen Verhaltens). In Abgrenzung zu tiefenpsychologischen Konzeptualisierungen betont Wolfgang Zöller diese spezifische Systemsicht der Gestalttheorie: „… erlebte Kräfte anziehender und abstoßender Art zwischen dem phänomenalen Ich und der phänomenalen Außenwelt müssen nicht von außen in die Psyche zurückverlegt werden, sondern sind von vorneherein psychisches Geschehen, welchem psychische Prozeßvarianten in einem Gesamt- oder Teilfeld zugrunde liegen. So müssen soziale Strebungen auch nicht auf Erregungspotentiale erogener Zonen zurückgeführt werden, sondern können ihre primäre Dynamik aus den tatsächlich bestehenden sozialen Verhältnissen gewinnen“ (Zöller 1996, 263).

Innerhalb der phänomenalen Welt wird es sich bei der „Projektion“ auch nicht um ein „Punkt-zu- Punkt-Geschehen“ handeln – wie durch die Optik-Analogie suggeriert – sondern um ein dynamisches Feldgeschehen, d.h. Veränderungen an einer Stelle des Feldes führen zu Veränderungen an allen anderen Stellen. Plausibel ist daher, dass im Falle der Projektion ein bestimmtes erlebtes Gefühl meine phänomenale Welt insgesamt „färbt“ oder kontaminiert. Wenn ich also eifersüchtig bin, verändert sich nicht nur mein erlebtes Ich, sondern wird tendenziell meine gesamte erlebte Welt zu einer „Eifersuchtswelt“, bekommen tendenziell alle Gegenstände, Personen und Vorgänge eine von dieser Eifersucht kontaminierte Färbung und Bedeutung.

Projektion mag dann bedeuten, dass ich aus bestimmten Gründen die „Quelle“ dieser Färbung eher von meinem Gegenüber ausgehend erlebe, statt von mir selbst. Ein solcher Grund könnte durchaus der von Freud (s.o.) erwähnte sein, dass nämlich der Angriff „von außen“ kommend erträglicher ist, als der „von innen“. Ein weiterer Grund könnte z.B. ein rigides und bestimmendes Wertesystem sein (in dem z.B. aggressive Impulse „verboten“ sind). In Lewin’scher Terminologie bestünde dann eine „Wand“ oder „Barriere“ zwischen meinem erlebten Ich (das z.B. ein hohes Bedürfnis nach Frieden und Harmonie hat) und dem „nicht erlaubten“ aggressiven Gefühl. Das unschöne aggressive Gefühl wird also vom Ich „abgespalten“ (vgl. Stemberger zum Stichwort „Abspaltung“) und beim Gegenüber angesiedelt. Es sei wiederholt: Es handelt sich nicht um ein punktuelles „Hinüberschicken“ von isolierten Gefühlen, sondern um eine Umzentrierung oder Schwerpunktverlagerung in meiner weiterhin insgesamt z.B. „aggressiv“ oder „eifersüchtig“ eingefärbten phänomenalen Welt. Das „Aggressive“ oder „Eifersüchtige“ wird zwar beim anderen wahrgenommen, es hat aber ebenso Wirkungen auf mich selbst und meine gesamte erlebte Welt.

Funktion der als "Projektion" bezeichneten Vorgänge

In diesem Sinn verstanden lässt sich der Vorgang der „Projektion“ systematisch ohne jeglichen Rückgriff auf frühkindliche Entwicklungen beschreiben (was nicht ausschließen muss, dass Spekulationen dazu fruchtbar sein mögen). „Projektion“ ist an sich auch nichts „Böses“ oder per se Pathologisches, sondern kann die Funktion haben, unerträgliche Spannungen zu vermeiden. Allerdings fordert auch eine solche Form der Abwehr einen Preis. Es wird Folgen im sozialen Geschehen haben, wenn ich fortgesetzt anderen Menschen Gefühle zuschreibe, die diese nicht haben. Innerpsychisch wird es dabei zu Rückkopplungsprozessen kommen, die die Spannungen zwischen den Feldteilen erhöhen und so weitere Energie binden (vgl. Stemberger zum Stichwort „Abspaltung“). Die verzerrte Perspektive von Ich und Welt ist dann nur noch mit hohem energetischem Aufwand durchzuhalten. Auf lange Sicht wird es unter Umständen zu einer sozialen Isolierung kommen (vgl. dazu die Wertheimer/Schulte-Thesen zur Entstehung und Heilung einer paranoiden Störung im Sammelband Stemberger 2002). Projektive Prozesse und insbesondere der Spezialfall der „Projektiven Identifizierung“ werden auch im Zusammenhang mit den so genannten „Borderline-Störungen“ diskutiert (vgl. dazu Fuchs, Ruh, Soff & Gerstner, 1997).

Aus gestalttheoretischer Sicht sollten Vorgänge dieser Art allerdings nicht nur unter dem Blickwinkel der psychischen Abwehr des Unerwünschten oder schwer Erträglichen gesehen werden. Wie das Gegenstück der „Projektion“, die „Identifikation“ – also das „Hereinnehmen“ von Eigenschaften oder anderen Sachverhalten in die eigene Person – zeigt, können solche Vorgänge der Umgliederung der erlebten Welt auch im Dienst anderer Bestrebungen stehen.

Zusammenfassend:

Der Begriff der „Projektion“ als solcher ist widersprüchlich und verleitet zu „schiefen“ Annahmen. Gestalttheoretisch gesehen handelt es sich bei dem gemeinten Phänomen um Schwerpunktverlagerungen oder Umzentrierungen im psychischen Feld, die mit Abspaltungen von der eigenen Person und vom eigenen Erleben verbunden sind. Solche Vorgänge spielen eine bedeutsame Rolle im ständigen Prozess der dynamischen Neuordnung der phänomenalen Welt zur Steuerung der Befriedigung oder eben Nicht-Befriedigung von Bedürfnissen und Quasi-Bedürfnissen und aller anderen Lebensprozesse. Sie sind Teil der Spannungssysteme, die das Ich in seiner Beziehung zur Welt bestimmen (vgl. Stemberger 2015).

Siehe auch:

Literatur: