[→ der Text dieses Eintrags folgt weitgehend Soff 2011; für Zitierungen bitte auf diesen Originaltext zurückgreifen!]
Psychische Sättigung kann sich bei (häufig) wiederholter Ausführung einer Handlung einstellen. Sie führt dazu, dass eine zunächst als angenehm oder neutral empfundene Tätigkeit den positiven Aufforderungscharakter für die handelnde Person verliert und es zu einer ausgesprochenen Abneigung gegen die Tätigkeit kommt. Die Abneigung gegen die wiederholt ausgeführte Tätigkeit „steigert sich unter Umständen so weit, dass die Person trotz eines gewissen äußeren Zwanges und trotz guten Willens und großer Anstrengung die Arbeit fortzuführen, diese Arbeit nicht mehr ausführen 'kann' und daher abbricht“ (Karsten 1928, 244).
Der Sättigungsverlauf erfolgt allerdings nicht geradlinig, sondern in Phasen. Es kann dabei zeitweilig zur „Erholung“ kommen, zu einem „sich-hinein-finden“ mit zwischenzeitlich u.U. gesteigerter Annehmlichkeit, woraufhin es dann wiederum sprunghaft zu einem höheren Sättigungsgrad, schließlich zur Übersättigung, kommen kann. Die Gesamtrichtung des Prozesses lässt sich aber (nach Lewin 1928, 275) charakterisieren als Übergang von einer (psychischen) „Hungerphase“ in die „Sättigungsphase“ und schließlich in die „Übersättigung“, die „mitunter eine sehr lange oder gar endgültige Abneigung“, ja Ekel, gegen die ausgeführte Handlung mit sich bringen kann.
Die Abneigung kann sich sogar ausweiten auf eine ganze Bandbreite von als gleichartig empfundenen Tätigkeiten, „benachbarten Handlungen (Variationen)“, die „mitgesättigt“ werden, sodass es zu einer allmählichen „Ausbreitung des negativen Aufforderungscharakters auf immer größere seelische Bereiche“ kommt. (Lewin 1928, 277) (Das hierzu angeführte Beispiel aus dem Alltag ist das Üben einer Klavieretüde bis zur Übersättigung, was dazu führen kann, dass eine Abneigung nicht nur gegen diese Etüde, sondern gegen das Klavierspiel insgesamt entstehen kann.)
„Karsten hat gezeigt, wie bei der Durchführung fortlaufender Arbeiten aufgrund psychischer Sättigung zunächst leichtere, dann größere Variationen auftreten; wie sich allmählich Fehler einstellen; die ursprüngliche Handlungsganzheit auseinanderbröckelt; eine Verschlechterung der Leistung; ein Verlernen des früher Gekonnten eintritt; bis es schließlich zu einem vollkommenen Handlungs- und Situationszerfall kommt, zu einer extremen Sinnlosigkeit des Geschehens, die häufig zu starken Affektentladungen führt“ (Lewin 1928, 276).
Damit einher geht zugleich eine steigende „Tendenz, auf irgendeine Weise 'aus dem Felde zu gehen' und die Barriere, eventuell gewaltsam, zu durchbrechen“ (ebd., 277).
Lewin macht darauf aufmerksam, dass offenbar eine Voraussetzung für das Eintreten eines Sättigungseffektes darin besteht, dass „die Handlung den Charakter einer „echten Wiederholung“ im psychologischen Sinne hat, eines Geschehens ohne eigentlichen Fortgang, eines „Auf-der-Stelle-Tretens“. Fehlt dieser Charakter bloßer Wiederholung, wird die Arbeit irgendwie als Weiterkommen erlebt, so kann die Sättigung ganz ausbleiben oder jedenfalls außerordentlich aufgehalten werden, selbst dann, wenn äußerlich eine Wieder-holungshandlung vorliegt“ (Lewin 1928, 281).
Kurt Lewin: Schriften zur angewandten Psychologie. Aufträge, Vorträge, Rezensionen
Herausgegeben und eingeleitet von Helmut E. Lück
Wien: Verlag Wolfgang Krammer
Dem Buch liegt eine DVD mit seinen berühmten Filmen zur Welt des Kindes bei.
ISBN 978 3 901811 46 3 | 288 Seiten | Preis 28,00 Euro