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Hans-Jürgen Walter, Biedenkopf
Im Hier-und-jetzt-Prinzip sind die von Lewin (vgl. 1969, 51 ff.) herausgearbeiteten Prinzipien für die Ableitung menschlichen Verhaltens (V) aus der Beziehung zwischen einer besonderen Person (P) und ihrer Umwelt (U) zusammengefasst - gemäß dem allgemeinen Gesetz: V = f (P,U).
Die von Lewin benannten Prinzipien sind:
1. Das Prinzip der „Konkretheit“ (Lewin: „Nur Konkretes kann wirken … d.h. etwas, was die Stellung einer individuellen, in einem bestimmten Zeitmoment bestehenden Einzeltatsache hat“; 53);
2. Der „Beziehungscharakter“ der verursachenden Fakten (Lewin: „Ein Geschehen kann nur durch ein 'Zueinander' verschiedener Gebilde verursacht werden“; S. 54);
3. Das Prinzip der „Gegenwärtigkeit“ (Lewin: „Gegenüber der … Ungetrenntheit historischer und systematischer Fragestellung… soll hier in aller Schärfe der Satz vertreten werden, dass weder vergangene, noch zukünftige psychologische Fakten das gegenwärtige Geschehen beeinflussen, sondern lediglich die gegenwärtige Gesamtsituation. Diese These folgt unmittelbar aus dem Grundsatz, dass nur konkret Existierendes wirken kann“, 55)
Das Hier-und-jetzt-Prinzip war ursprünglich spezifisches Merkmal der von Lewin (und Mitarbeitern: L.P. Bradford, R. Lippitt, K.D. Benne u.a.) Mitte der 40er Jahre entwickelten Gruppendynamik (T-Gruppe; T = Trainings-). Unter dem Einfluss früher Lewinscher Forschungsarbeiten aus den 20er Jahren begann Perls etwa zur gleichen Zeit ähnliche Auffassungen wie Lewin - und wie dieser (1969, 52) in kritischer Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse - für die Psychotherapie zu vertreten (Perls 1946, dt. 1978, 122 f.). Anfang der 50er Jahre stellte er das Hier-und-jetzt-Prinzip in den Mittelpunkt seiner Gestalt-Therapie. Schließlich schrieb es Anfang der 60er Jahre die Bewegung der „Humanistischen Psychologie“ (und Psychotherapie) auf ihre Fahne. „Hier-und-jetzt“ wurde zu einem Schlagwort (Bühler 1974, 88), das von seinen Befürwortern nicht seltener missverstanden wurde, als von seinen Gegnern. Dabei wurde häufig übersehen, dass es keineswegs eine Vernachlässigung von Vergangenheits- und Zukunftsperspektive (und damit blind-hedonistisches Gegenwartshandeln) impliziert (Zeitperspektive), sondern gerade deren Handlungs- und Veränderungsrelevanz als konkrete und gegenwärtige Fakten im Rahmen einer individuellen Kraftfeldanalyse betont (Bewusstheitskontinuum) und so die Verantwortlichkeit des Individuums für seine Sicht von Vergangenheit und Zukunft und den Umgang mit seinen gegenwärtigen Wünschen in die Betrachtung einbezieht.