[EN: bodily ego; body scheme]
Die im kritischen Realismus erkenntnistheoretisch vertretene Position der „Verdoppelung der Welt“ in eine transphänomenale oder physikalische Welt der Reize und Reizquellen und eine anschauliche Welt der Wahrnehmungsdinge fordert in Bezug auf den Körper einer Person die klare Unterscheidung zwischen dem physiologischen Organismus und dem anschaulichen Körper-Ich.
Der Begriff „Körper-Ich“ bezeichnet in der Gestalttheorie dementsprechend meinen mir phänomenal, unmittelbar anschaulich gegebenen und unmittelbar angetroffenen (gefühlten oder besser gespürten) Körper. Das Körper-Ich ist ein Teil jener größeren Gesamtheit, die wir als anschauliches Ich erleben. Diese wiederum bildet zusammen mit der anschaulichen Umwelt das psychische Gesamt-Feld des Menschen (Metzger).
Bischof (1966b, 422) definiert das Körper-Ich als „leibhaftig wirkliche (…) freibewegliche Raumgestalt, die durch das Wesensmerkmal des ‚Eigenen‘, ‚unmittelbar zu mir selbst Gehörenden‘, ‚von meinem Ich (…) Durchdrungenen‘ ausgezeichnet ist“, und „ innerhalb derer ferner meine Krafterlebnisse und an deren Grenzfläche meine Berührungserlebnisse sich lokalisieren und an deren Teilen und Gliedern mein Wille unmittelbar angreifen kann.“
Eine Bewegungsabsicht, wie z.B. die rechte Hand hochzuheben, richtet sich insofern auf den anschaulichen Arm als Teil meines Körper-Ich und nicht auf den ihm zugeordneten Teil des Organismus. Dies lässt sich z.B. daran deutlich machen, dass der Angriffspunkt meines Willens bei dieser Bewegung die Hand ist, während der Angriffspunkt der zugehörigen nervösen Innervation die Schulter- und Oberarmmuskulatur darstellt (Metzger 1969).
Die Grenzen des anschaulichen Körper-Ichs können enger oder weiter sein als die des physiologischen Organismus und zugleich auch variabler und weniger klar sein. Sie können z.B. auch die Kleidung umfassen und sogar, wenn sie in einem festen Funktionsverband mit dem Körper stehen, auch Werkzeuge und Fahrzeuge.
Im Drogenrausch und unter bestimmten pathologischen Bedingungen wie z.B. bestimmten neurologischen Schäden oder psychischen Erkrankungen kann es zu erheblichen Veränderungen und Verzerrungen des Körper-Ich in Bezug auf Abgrenzung, Gliederung und Zentrierung kommen. Solche Veränderungen des anschaulichen Körpers sind jedoch keineswegs auf pathologische Zustände beschränkt:
Mit dem Körper(-Ich) als Teil des psychischen Gesamtfeldes befasst sich Galli (1998) und zeigt, wie die Erfahrung und Wahrnehmung meines Körpers in Abhängigkeit von diesem Gesamtfeld differiert. Während mir z.B. mein Körper, wenn ich in ein geistig anregendes Gespräch vertieft bin, kaum und wahrscheinlich in einer eher globalen Weise bewusst ist, tritt dieser in einer Situation, die Scham hervorruft, schmerzlich und akzentuiert in den Vordergrund.
Unter bestimmten Voraussetzungen kommt es im anschaulichen Gesamtfeld eines Menschen spontan oder induziert zur Ausgliederung eines zweiten anschaulichen Ich mit einer eigenen anschaulichen Umwelt (vgl. Stemberger 2009). Dieses zweite anschauliche Ich kann körperlos sein oder über einen eigenen anschaulichen Körper verfügen. Fuchs (2010) stellt dazu die Hypothese auf, dass sich im Fall einer magersüchtigen Symptomatik ein solches sekundäres psychisches Gesamtfeld mit einem eigenen anschaulichen Körper-Ich relativ überdauernd herausbildet. Solche Vorgänge können auch für andere Fälle angenommen werden, wo sich – auf Grund traumatischer Erlebnisse oder auch aus anderen Gründen - eine zu starke Diskrepanz zwischen tatsächlich erfahrenem und „annehmbarem“ eigenen Körper herausgebildet hat.
Vom anschaulichen Körper-Ich klar zu unterscheiden ist die neuronale Repräsentanz des Körpers im Zentralnervensystem, die mit dem Begriff „Körper-Schema“ bzw. cerebrales Körperschema bezeichnet wird. Der Organismus verfügt nicht nur über Sinnesorgane für Aspekte der Außenwelt, sondern weist auch verschiedene Rezeptoren und Sinnesorgane auf, die sensibel sind für körpereigene Zustände und Vorgänge (Haut-und Tiefensensibilität, Stellungs-, Spannungs- und Lagewahrnehmung). Diese Zustände und Vorgänge lösen in diesen Sinnesorganen eine Reihe physikalisch-chemischer Prozesse aus, die schließlich zu Erregungsvorgängen im Zentralnervensystem führen. Diesen (transphänomenalen) Erregungsvorgängen sind phänomenale Gegebenheiten zugeordnet, die die Zustände und Vorgänge am Anfang der Prozesskette für das erlebende Subjekt repräsentieren (Hunger, Durst, Schmerz, Lust, Bewegung, etc.). Die Gesetzmäßigkeiten dieses Zusammenhanges sind bisher wissenschaftlich nicht geklärt, die Gestalttheorie geht aber von einer strukturellen Übereinstimmung (Isomorphie) von zusammengehörenden zentralnervösen und phänomenalen Vorgängen aus.
Von Körper-Schema kann aber auch noch in einer zweiten Bedeutung gesprochen werden. So bezeichnet man als kritisch-phänomenales Körperschema (auch in Unterscheidung vom unmittelbar anschaulich erlebten Körper-Ich) das von uns über den Körper Gedachte, wissenschaftlich Erforschte, Gewusste, also die Gesamtheit unserer mehr oder weniger wissenschaftlich fundierten Anschauungen über den eigenen Körper, unser „Körperbild“ als Teil unseres kritisch-phänomenalen Weltbildes (Bischof 1966a, 28ff).
Paul Tholey: Gestalttheorie von Sport, Klartraum und Bewusstsein. Ausgewählte Arbeiten, hrsg. und eingeleitet von Gerhard Stemberger
Wien: Verlag Wolfgang Krammer
ISBN 978 3 901811 76 0 | 310 Seiten | Preis 36,00 Euro