[EN: empty chair]
Das „Arbeiten mit dem leeren Stuhl“ wurde in der Perls'schen Gestaltherapie in starker Anlehnung an ähnliche Ansätze in Morenos Psychodrama entwickelt.1) Diese Arbeitsweise wurde inzwischen auch von anderen Therapiemethoden übernommen. In der Gestalttheoretischen Psychotherapie ist sie eine der verschiedenen dialogischen Arbeitsformen, die sich je nach Situation in der Therapie anbieten.2)
In der GTP wird generell davon ausgegangen, dass therapeutische Arbeitsweisen und Techniken keine Zaubertricks genialer therapeutischer Erfinder, sondern ihrem Ursprung nach „dem Leben abgeschaut“ sind. So knüpfen auch die in der GTP gewählten dialogischen Arbeitsformen an der Tatsache an, dass sich der Mensch ganz alltäglich in einem beständigen Dialog mit sich selbst und seiner Umwelt befindet. Die US-amerikanische Gestaltpsychologin Mary Henle (1913-2007) hat darauf ihren Beitrag zur Gestalttheorie der Person aufgebaut, der für das Verständnis des dialogischen Arbeitens in der GTP grundlegend ist.3)
Henle hat aufgezeigt, dass schon in ganz alltäglichen Äußerungen erkennbar wird, dass und wie ein Mensch auf sich selbst Bezug nimmt. Darin machen sich unterschiedliche Funktionen des Selbst bemerkbar, die der Mensch offenbar für seine Orientierung in der Welt und vor allem auch für sein mit-menschliches Leben braucht. Es sind dies Funktionen wie das Sich-selbst-Beobachten, das Sich-selbst-Korrigieren oder -Kritisieren, das Sich-selbst-Wertschätzen und -Pflegen usw. Im Erleben des Menschen werden diese psychischen Funktionen oft personalisiert - man spricht sie etwa im „inneren Dialog“ wie Personen an, als seinen „inneren Kritiker“, sein „inneres Kind“ usw. (diese Neigung zur Personifizierung psychischer Funktionen wird auch in verschiedenen Therapierichtungen, meist unkritisch, aufgegriffen und in therapeutische und Selbsthilfe-Techniken „eingebaut“).
Die „Inneren Dialoge“ des Alltags beschränken sich jedoch nicht auf diese Dialoge mit einem selbst, sondern sind oft auch Gespräche mit Bezugspersonen, noch lebenden wie auch bereits verstorbenen, mit Gegenständen (z.B. dem Computer, dem Auto…) und mit anderen als mehr oder weniger real erlebten Gegebenheiten (z.B. dem Schicksal, dem Glück, Gott…). Zwischen den Dialogen mit sich selbst und den Dialogen mit anderen (ob diese Dialoge nun auch für andere hörbar werden oder im Stillen ablaufen) besteht eine Wechselbeziehung. Wer zum Beispiel sich selbst nie angemessen, sachlich und solidarisch zu kritisieren gelernt hat, wird wahrscheinlich auch aus den Worten anderer nur destruktive Kritik heraushören und damit entsprechend umgehen.
Das dialogische Arbeiten in der Psychotherapie knüpft an solchen „inneren Dialogen“ an und fördert ihr „Laut-werden“ in der Therapiestunde. Das kann schlicht darin bestehen, dass die Klientin angeregt wird, „laut zu denken“ und damit die in ihr mit sich selbst oder anderen ablaufenden Gespräche auch für die Therapeutin hörbar zu machen, sie zum Teil ihres „äußeren Dialogs“ mit der Therapeutin zu machen. Das kann im weiteren Verlauf auch in andere Dialogformen münden, bis hin zu psychodramatischen Inszenierungen eines solchen Dialogs oder auch zu Dialogen in der Form von „Arbeiten mit dem leeren Stuhl“ (die Anführungszeichen sollen darauf verweisen, dass der Stuhl im gelungenen Fall erlebnismäßig eben nicht leer ist). Spätestens mit dem Laut-werden-Lassen der „inneren Dialoge“ in der Therapiestunde werden diese Teil des Beziehungsgeschehens in der Therapie. Dieses Beziehungsgeschehen entscheidet auch über Charakter und Wirkung der spezielleren Dialogformen, zu denen die „Arbeit mit dem leeren Stuhl“ zählt.
Äußerlich betrachtet besteht diese Arbeitsweise darin, dass die Klientin dazu eingeladen wird, ihren „inneren Dialog“ nicht nur laut werden zu lassen, sondern auch räumlich „nach außen“ zu bringen: Je nachdem, ob es sich um einen Dialog mit sich selbst oder um einen Dialog mit anderen Personen geht, wird das unterschiedliche Formen annehmen:
Geht es um einen Dialog mit einer anderen Person, bietet sich die „Arbeit mit dem leeren Stuhl“ an. Das innere Gegenüber der beiden Dialog-Partner wird in dem Fall in ein äußeres Gegenüber der beiden Dialog-Partner auf zwei im Therapie-Raum aufgestellten Stühlen umgesetzt. Zwischen ihnen wechselt die Klientin, einmal die eine, dann wieder die andere Dialog-Partnerin verkörpernd und ihnen eine Stimme gebend. Dazu können bisweilen auch weitere Dialogpartner auf zusätzlichen Stühlen kommen.
Geht es hingegen um einen Dialog zwischen verschiedenen Seiten der eigenen Person (wobei es sich oft um personalisierte Funktionen des Selbst handelt, wie etwa die eigene Kritikerin, die eigene Freundin, die eigene Antreiberin etc.) bietet sich nur in Ausnahmefällen die „Arbeit mit dem leeren Stuhl“ an. In der Regel wird man für solche Dialoge eher Arbeitsweisen wählen, bei denen die beiden Dialog-Partner durch wechselnde Körper-Haltungen, durch die beiden Hände, durch Kopf und Fuß oder dergleichen repräsentiert werden.
Einige Beispiele für diese unterschiedlichen Formen können im Beitrag von Brigitte Lustig 2014 nachgelesen werden, gestalttheoretische Grundlagen zur „Arbeit mit dem leeren Stuhl“ bei Stemberger 2014. Welchen Unterschied es macht, ob beispielsweise der Ehepartner „nur“ erlebnismäßig „auf dem leeren Stuhl“ sitzt oder leibhaftig im Raum anwesend ist, besprechen Fuchs und Stemberger 2018.
Sinn dieser Arbeitsformen ist es, den Dialog durch eine gewisse phänomenale Distanz zwischen den Dialog-Partnern klarer zu strukturieren und die Positionen mit all ihren Bestrebungen und Beziehungswünschen prägnanter werden zu lassen. Die damit verbundene Erwartung ist, dass dadurch eine Klärung und eine konstruktivere Entwicklung des Dialogs gefördert wird. Davon erhofft man sich, dass im Fall eines Dialogs mit sich selbst eine konstruktivere Haltung zur eigenen Person und eine bessere Integration widerstreitender Tendenzen in der eigenen Person erreicht werden kann; und dass im Fall eines Dialogs mit anderen Personen tauglichere Formen des Umgangs mit diesen Personen im Alltagsleben gefördert werden.
In beiden Fällen hängt die Umsetzung dieser Arbeitsformen in ihrer Wirkung stark von der jeweils gegebenen therapeutischen Situation ab. Nur wenn die Beziehungssituation zwischen Therapeutin und Klientin eine vertrauensvolle und sichere ist, kann und wird sich die Klientin darauf einlassen, im Beisein der Therapeutin und mit deren Unterstützung in eine eigene Erlebniswelt des Dialogs mit dem Gegenüber „am leeren Stuhl“ einzutauchen.4)