[EN: effect of Einstellung and mechanization in problem solving]
Abraham S. Luchins (1914-2005) und Max Wertheimer (1880-1943)1)
Aus theoretischen wie auch aus praktischen Gründen waren Psychologen schon immer an der Frage interessiert, wie es kommt, dass Menschen oft ein Verhalten an den Tag legen, das einem früher gezeigten Verhalten gleicht oder ähnelt, und dies tun, obwohl dieses Verhalten der gegebenen Situation nicht gerecht wird. Auf eine spezielle Variante dieser Konstellation bezieht sich der Begriff des „Einstellungs-Effekts“. [Luchins & Luchins 1959, 2f]
Die Tatsache, dass wiederholt vorgenommene Handlungen eine Gewöhnung mit sich bringen, wird „Einstellung“ genannt. „Einstellung“ ist demnach die Tendenz eines Lebewesens zu ganz bestimmten Handlungs- und Bewusstseinsabläufen. [Luchins 1965; 173, 189]
Folgendes scheint vorzuliegen: Wiederholt aufeinanderfolgende Benutzung der gleichen Methode lässt bei vielen Versuchspersonen eine Mechanisierung auftreten; sie werden für die Möglichkeit eines einfacheren und kürzeren Weges blind. [Luchins 1965, 171] Einstellung oder Gewöhnung verursacht demnach offenbar oft eine Automatisierung der Denkvorgänge, ein blindes Vorgehen gegenüber Aufgaben; man geht an die Aufgabe nicht mit den ihr angepassten Überlegungen heran, sondern bleibt automatenhaft an dem eingeübten Denkmuster. [Luchins 1965; 185]
Dabei ist von „objektiver Einstellung“ die Rede, die weniger in subjektiven Eigenarten der Person ihren Ursprung hat, als vielmehr in den sachlichen Eigenheiten der Situation: Luchins & Luchins (1959; 111) verweisen darauf, dass Max Wertheimer (1923) und andere sich in diesem Sinn vorrangig mit der so genannten „objektiven Einstellung“ beschäftigten, die sich aus der Aufeinanderfolge von Ereignissen in der gegebenen (experimentellen) Situation ergibt, und nicht mit der „subjektiven Einstellung“, die der Mensch bereits mitbringt.
Max Wertheimer beschreibt dies so: „Ist eine Reihe Teil einer Folge (allgemein: eines Zusammen), so wirkt das gesetzlich bestimmend: eine Konstellation, die in der einen Folge in bestimmter Form resultiert, resultiert in einer anderen Folge in bestimmt anderer Form; oder auch: eine Konstellation, die an sich, allein gegeben, nicht eindeutige Resultate geben würde resp. unklarer, unbestimmter resultieren würde, resultiert in einer Folge in gesetzlich bestimmter Form. Dieser Faktor der Einstellung ist sehr stark; auch an sich allein gegeben typisch eindeutige Konstellationen können durch ihn zu anderer Form führen. Man ist gewohnt, solche Einflüsse rein subjektiven Bedingungen zuzurechnen (womit sie dann leicht in dem bekannten Beliebigkeitscharakter erscheinen); es handelt sich hier aber tatsächlich zunächst um gesetzliche objektive Faktoren: ob eine bestimmte Reihe Teil in einem Zusammen mit einer bestimmten anderen ist, wird hier zunächst durch objektive Konstellation bedingt…“ [Wertheimer 1923, 319f]. Und Wertheimer verweist darauf, „dass es neben solcher sukzessiver Einstellung auch eine ähnlich wirkende simultane Einstellung gibt. Und allgemeiner: Bestimmte ‚Feld‘bedingungen sind wesentlich mitbestimmend“ [ebenda].
In der Psychotherapie geht es nicht zuletzt darum, die jederzeit bei jedem Menschen vorhandenen und wirksamen Einstellungen bewusst zu machen und daraufhin zu überprüfen, ob sie in der gegebenen Situation angemesseneren Möglichkeiten des Verhaltens und Erlebens im Wege stehen. Als Methode dafür bietet sich der phänomenzentriert variationale Ansatz an, der von Abraham S. Luchins und Edith H. Luchins ausgearbeitet und von Bernadette Lindorfer auf die Psychotherapie übertragen wurde (Luchins, Luchins & Lindorfer 2020).
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Max Wertheimer: Produktives Denken. Hrsg. und eingeleitet von Viktor Sarris (Neuauflage 2019)
Berlin: Springer Spektrum
E-Book ISBN 978-3-662-59821-4 | 300 Seiten | Preis für das E-Book 29,99 Euro Softcover ISBN 978-3-662-59820-7 | 300 Seiten | Preis für das Druckexemplar 39,99 → Bestellmöglichkeit