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Intrusionen und Flashbacks aus gestalttheoretischer Sicht

Katharina Sternek, Wien

Herkunft und verbreitetes Verständnis der Begriffe

Der Begriff der Intrusion leitet sich vom Lateinischen ab und weist auf etwas sich Hineindrängendes, Eindringendes, sich Aufzwingendes hin. Der Ausdruck Flashback wiederum – im Film für die Rückblende verwendet – weist darauf hin, dass sich das ins gegenwärtige Erleben Hineindrängende im konkreten Fall auf früheres Erleben beziehen kann.

Intrusionen und Flashbacks werden im psychologischen und psychotherapeutischen Kontext zumeist als Folgeerscheinung von Traumatisierung angesehen - eine aus gestalttheoretischer Sicht zu enge Betrachtungsweise (siehe unten). Im DSM („Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen“) beispielsweise gelten Flashbacks und Intrusionen als typische Symptome einer Traumatisierung und werden dem „intrusiven Symptomkomplex“ zugeordnet (Kriterium B)1). Der Begriff des „intrusiven Symptomkomplexes“ fungiert dabei als Überbegriff, innerhalb dessen bestimmte Arten des Wiedererlebens der traumatischen Erlebnisse unterschieden werden. Das Wiedererleben kann z.B. in Form von wiederkehrenden belastenden Träumen erfolgen, aber ebenso als wiederkehrende, eindringliche Erinnerungen an das Trauma in Form von Bildern, Gedanken etc., wobei hier der Erinnerungscharakter des Erlebens meist erkennbar zu bleiben scheint. Flashbacks werden hingegen so charakterisiert, dass ihr Erleben mit dem Gefühl einhergeht, das Trauma in diesem Moment wieder zu erleben (vgl. Flatten 2003, 38).

Gestalttheoretische Auffassung: Phänomene nicht auf Traumafolgen zu reduzieren

Die Gestaltpsychologie bietet mit den auf Kurt Lewin zurückgehenden Konzepten der Dynamik von Spannungssystemen und der Herausbildung isolierter Teilsysteme (z.B. auch „Abspaltungen“) einen dynamischen Erklärungsansatz für das Auftreten von Intrusionen und Flashbacks, ohne solche Phänomene auf Traumafolgen zu reduzieren.

Dass unerledigte oder unterbrochene Handlungen, Erlebnisabläufe oder Absichten und Pläne psychische Spannungen hinterlassen, die sich unter bestimmten Voraussetzungen nicht mit der Zeit verlieren, sondern sich immer wieder im Erinnern und Verhalten bemerkbar machen können (z.B. in Form einer Tendenz zur Wiederaufnahme der unerledigten Angelegenheit) wurde erstmals von den Lewin-Schülerinnen Zeigarnik (1927) und Ovsiankina (1928) in verschiedenen Experimenten der Berliner „Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie“ empirisch erforscht (vgl. Lindorfer & Stemberger 2012). Auf Grundlage dieser Forschungsbefunde der Lewin-Gruppe kann man Intrusionen und Flashbacks folgendermaßen verstehen (vgl. dazu auch das Stichwort „Abspaltung“, Stemberger 2016):

Zuerst kommt es zu einer Abspaltung von bestimmten Erlebnissen oder auch anderer Inhalte (wie z.B. tabuisierter Wünsche oder Vorhaben). Diese bilden isolierte Teilsysteme, die gegenüber dem übrigen Erleben durch starke dynamische Wände getrennt sind, aber unter hoher Spannung stehen. Wird diese Spannung mit der Zeit zu hoch oder werden die dynamischen Wände, die sie in Isolation halten, durch entsprechende Entwicklungen der Gesamtlage geschwächt, kommt es zum spontanen Einbrechen der abgespaltenen Inhalte in das gegenwärtige Erleben.

Die Rolle abgespaltener, isolierter Spannungssysteme

Solch ein unwillkürliches Auftauchen von Erinnerungen und Bildern an bestimmte Lebensereignisse oder auch das „Eindringen“ von anderen „unpassenden“ Inhalten, die nicht mit der gerade bestehenden Situation vereinbar sind, sind ein Hinweis darauf, dass eine psychologisch unabgeschlossene Situation vorliegt, die sich nicht mehr länger abspalten lässt.

Die in Richtung Erledigung bzw. Abschluss drängenden Kräfte sind an das Vorhandensein und Wirksamwerden psychischer Spannungssysteme gebunden. Im Verständnis Lewins beruhen diese Spannungssysteme auf den natürlichen Bedürfnissen und auf Vorhaben („Quasi-Bedürfnissen) einer Person, die mit ihrer psychologischen Umwelt in dynamischer Wechselwirkung stehen. Zur Entspannung eines so entstandenen Teilsystems und damit zu einem neuen Spannungs-Gleichgewicht im Gesamtsystem kommt es, wenn die Person ihr Ziel erreicht oder die unerledigte Situation in anderer Weise abschließt (z.B. durch eine Ersatzhandlung, durch eine Änderung ihrer Ziele oder durch einen Bedeutungsverlust des ursprünglichen Vorhabens).

Nun gibt es aber Situationen im Leben eines Menschen, in denen der Betroffene nicht entsprechend seinen Bedürfnissen handeln oder seine Vornahmen durchführen kann. Dabei kann es sich um Situationen mit unüberwindbaren Barrieren handeln, die den psychologischen Charakter des „Gefängnisartigen“ oder „Ausweglosen“ besitzen. Solche Barrieren begrenzen die Handlungsfähigkeit der Person auf unterschiedlichste Weise. Sie verhindern z.B. das Fliehen aus einer traumatischen Situation, das Weglaufen aus einer Prüfungssituation oder aus einer Situation der Beschämung, das Kämpfen in einer Situation der Unterlegenheit, das Umsetzen eines verbotenen oder tabuisierten Vorhabens. Die betroffene Person kann in diesen Situationen starke Gefühle der Ohnmacht, der Angst, des Erstarrens, der Überforderung und ähnliches erleben. Da die Handlungen nicht ausgeführt werden können, erfolgt auch keine Entspannung der mit diesen Bedürfnissen verbundenen Spannungssysteme. Diese werden vielmehr abgespalten und bleiben relativ isoliert mit relativ starken Abgrenzungen zu den angrenzenden Regionen weiter bestehen. Aufgrund der starken Abgrenzung können diese Spannungssysteme jedoch nicht von alleine langsam an Spannung verlieren, wie das bei weniger starken Grenzen der Fall wäre. 2)

Das Weiterbestehen derart isolierter Spannungssysteme kann im weiteren Verlauf im Zusammenhang mit aktuellen Krisen, seelischen Schwankungen, Belastungen oder aufgrund anderer äußererer „Auslöser“ für das Auftreten der unwillentlichen bzw. unwillkürlichen Wiedererinnerung oder von Flashbacks verantwortlich sein (vgl. Lindorfer & Stemberger 2012). Für den betroffenen Menschen macht es allerdings einen großen Unterschied im Erleben und im Umgang mit seinem Erleben, ob das intrusive Erleben trotz all seiner Eindringlichkeit noch als intrusive Erinnerung identifiziert werden kann, zu der er Stellung nehmen oder von der er sich distanzieren kann, oder ob er durch ein Flashback aus seiner Welt völlig herausgerissen wird, den Kontakt zu dieser vorübergehend verliert und sich quasi in einer anderen, zweiten Welt wiederfindet.

Mehr-Felder-Ansatz und Flashbacks

Der von Gerhard Stemberger (2009) beschriebene Mehr-Felder-Ansatz bietet eine gestalttheoretische Erklärung für das Geschehen beim Erleben eines Flashbacks. Treten nämlich in der Erlebniswelt des Menschen Geschehnisse und Sachverhalte auf, die für den betroffenen Menschen in ein und derselben Erlebniswelt nicht in Einklang zu bringen sind, werden die unvereinbaren Sachverhalte in ein zweites Gesamtfeld ausgegliedert. Es kommt unter diesen Voraussetzungen dazu, „dass in unserem Erleben nicht nur ein Ich und seine Umwelt vorhanden ist, sondern sich ein zweites Ich mit einer zugehörigen zweiten Umwelt herausbildet“ (Stemberger 2009, 12). Im Fall von Flashbacks scheint es erstens zu einer plötzlichen Herausbildung eines solchen zweiten anschaulichen Gesamtfeldes zu kommen und wird dieses zweite anschauliche Gesamtfeld offenbar derart dominant, dass das erste anschauliche Gesamtfeld nicht nur in den Hintergrund tritt, sondern der Kontakt zu diesem ersten anschaulichen Gesamtfeld für eine bestimmte Zeitspanne verloren geht. Der betroffene Mensch fühlt sich dann regelrecht gefangen im zweiten anschaulichen Gesamtfeld und die Rückkehr in das erste anschauliche Gesamtfeld (die gewohnte Welt) scheint nicht möglich.

Der therapeutische Umgang mit Intrusionen und Flashbacks stellt für PatientInnen und PsychotherapeutInnen aufgrund ihres stark quälenden und bedrohlichen Charakters eine große Herausforderung dar. Es wurden im Verlauf der Entwicklung der psychotherapeutischen Theorie und Praxis dafür verschiedene spezielle „Techniken“ entwickelt, die in der Gestalttheoretischen Psychotherapie auf ihre Grundlagen zurückgeführt und in angemessene Begegnungsformen eingebettet wurden (vgl. Sternek 2014).

Verbundene Begriffe:

Literatur:


Das klassische Grundlagenwerk zur Gestalttheorie

Wolfgang Metzger: Psychologie. Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments

Wien: Verlag Wolfgang Krammer

ISBN 978 3 901811 07 9 | 407 Seiten | Preis 45,00 Euro

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1)
Für die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung sind gemäß DSM IV verschiedene Kriterien erforderlich: ein traumatischen Ereignis (Kriterium A), der intrusive Symptomkomplex (Kriterium B), Vermeidungsverhalten (Kriterium C) und Hyperarousal (Kriterium D) (vgl. Flatten 2003, 39).
2)
Diese Abgrenzung bzw. Abspaltung bestimmter Spannungssysteme vom Rest der Psyche hat allerdings mitunter einen hohen Funktionswert für die betroffenen Menschen. Sie dient oftmals nicht nur dem Schutz in überwältigenden und belastenden Situationen, sondern ermöglicht bzw. erleichtert es den Betroffenen auch, nach Überstehen der jeweiligen Situation den alltäglichen Anforderungen ihres Lebens nachzukommen.