Schon 1890 hat Christian von Ehrenfels erkannt, dass sich Gestalten durch ihre Transponierbarkeit auszeichnen, dass also etwa eine Melodie auch dann als die gleiche Melodie wiedererkannt wird, wenn sie in eine andere Tonhöhe versetzt wird und dabei von den ursprünglichen Tönen möglicherweise kein einziger erhalten bleibt. Auf dieser Transponierbarkeit von Gestalten beruht das Wiedererkennen von Personen, Gegenständen und Abläufen auch unter wesentlich geänderten Bedingungen (z.B. unter anderen Lichtverhältnissen, in Schwarz-Weiß oder in Farbe, bei völliger Materialveränderung wie z.B. lebendiger Mensch und Skulptur oder Fotografie usw. usf.). Worauf es dabei ankommt, ist nicht die Teil-zu-Teil-Übereinstimmung, die in den meisten Fällen eben gar nicht mehr gegeben ist, sondern die Übereinstimmung in den Gestaltqualitäten, vor allem hinsichtlich der „Rolle“ und „Funktion“ der Teile im Ganzen.
Die Rolle von mehr oder weniger gelingenden Transpositionsprozessen im menschlichen Alltagsleben zeigt sich in vielfältiger Form, etwa im Verhalten beim Lösen von Problemen. Dafür ist maßgeblich, dass jemand imstande ist, einen einmal gefundenen Lösungsweg und die dafür eingesetzten Lösungsinstrumente nicht blindlings eins zu eins auf eine andere Situation zu übertragen, sondern sinngemäß und den anders gelagerten Umständen entsprechend.
In der Psychotherapie kommen bisweilen Probleme zur Sprache, die auf misslingenden Transpositionen beruhen, also darauf, dass Lösungswege und Lösungsinstrumente, die sich früher einmal bewährt haben, blindlings auf neue Situationen (und möglicherweise auch auf andere Menschen) übertragen werden, für die sie zumindest in dieser Form völlig ungeeignet sind.
Um solche Probleme zu überwinden, ist die Einsicht in das Wesen der Sache und die konkreten Zusammenhangsverhältnisse und Wechselbeziehungen der Teile in ihrem Ganzen erforderlich. Diese Einsicht ist nicht immer spontan gegeben, aber sie kann durch eine offene Haltung und eine experimentell variierende Vorgangsweise gefördert werden. Eine der Möglichkeiten dafür ist die inter-semiotische Transposition, auf die auch die Gestalttheoretische Psychotherapie zurückgreift.
Stemberger 2019 führt dazu aus:
„Unter intersemiotischer Transposition wird im engeren Sinn die Übertragung von einem Zeichensystem in ein anderes verstanden (siehe dazu Galli 2017, 21ff). Hier nun wird der Begriff in einem weiteren Sinn verstanden, nämlich als Pendelbewegung zwischen den verschiedenen miteinander wechselwirkenden Weisen des Welterlebens und der Welterfassung (den anschaulichen Wahrnehmungen, den körperlichen Erlebensweisen, dem Sprachlichen und Nicht-Sprachlichen, dem Symbolischen in all seinen Formen…) und der damit verbundenen 'Vielsprachigkeit' des Menschen und seiner Welt.
Diese Pendelbewegung soll Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede erlebbar und verfügbar machen. Transpositionen zwischen diesen verschiedenen Erlebens-, Erfassens- und Mitteilungsformen können zur Aufockerung festgefahrener Sicht- und Verhaltensweisen, zur Differenzierung und Anreicherung des Lebensraums durch Zusammenhänge und Aspekte beitragen, die gerade nicht bewusst verfügbar sind.
Dazu gehören alle Formen des Ansprechens des Körperausdrucks ('Machen Sie eine Geste dazu; geben Sie einen Ton dazu'…), des Anregens einer Entsprechung in Zeichnen und Modellieren (Arnheim 1975, 1990), der dramatischen Inszenierung (vgl. Kästl 2014), des Arbeitens mit Metaphern (vgl. Agstner 2008), mit Märchen (Semotan 2018) und allen Formen des Symbolisierens (zu letzterem grundsätzlicher Andersch 2014), mit Gedichten (Harrower 1972), mit Bildbetrachtung im weitesten Sinn (ob nun Rorschach: Harrower 1991; oder die morphologisch orientierte Bildbetrachtung, vgl. Heiling 2011, Fitzek 2015, Beneder 2009, Rohner 2015). Die Auflockerung, Differenzierung und Anreicherung wird durch die Pendelbewegung zwischen den verschiedenen Formen (Arnheim 1975, 199) gefördert. Hier gehören die meisten so genannten 'projektiven Techniken' her, bei denen es sich tatsächlich eben nicht um Projektionsvorgänge handelt (vgl. zur Projektion aus gestalttheoretischer Sicht Fuchs 2016), sondern um intersemiotische Transpositionen im hier verwendeten Sinn.“ (Stemberger 2019, 48f)
Einen prominenten Platz in der Psychotherapie-Theorie nehmen seit Sigmund Freud die Prozesse der „Übertragung“ und „Gegenübertragung“ ein. Lässt man theoretische Interpretationen vorerst einmal weg, dann sind damit vereinfacht ausgedrückt folgende Phänomene gemeint:
Übertragung: Eine Therapeutin bemerkt, dass sich ihre Klientin zu ihr so verhält, als ob sie - die Therapeutin - die Mutter ihrer Klientin wäre (oder jedenfalls wie diese Mutter).
Gegen-Übertragung: Der Therapeutin fällt vielleicht gleichzeitig eine Tendenz bei ihr selbst auf, ihrer Klientin gegenüber so zu empfinden und sich ihrer Klientin gegenüber so zu benehmen, als ob sie die Mutter ihrer Klientin wäre.
Solche Phänomene gibt es natürlich. Im Unterschied etwa zur psychoanalytischen Konzeptualisierung geht die Gestalttheoretische Psychotherapie dabei jedoch davon aus, dass es sich dabei um Vorgänge in der jeweiligen phänomenalen Welt der jeweiligen Person handelt und nicht um Vorgänge in der transphänomenalen Welt, also zwischen den beteiligten physischen Organismen. Diese kritisch-realistische Auffassung dieser Phänomene macht die bisweilen abenteuerlichen spekulativen Annahmen überflüssig, die den Konzepten von Übertragung und Gegenübertragung da und dort zugrundegelegt werden.