Angelika Böhm, Mistelbach
Die Redewendung „Arbeit mit Träumen“ lässt sich – soweit es um Träume im Schlafzustand und nicht um Tagträume geht – aus gestalttheoretischer Sicht ausschließlich auf den Fall des Klarträumens anwenden (vgl. Tholey 2018, 71). Denn nur dort, wo es der träumenden Person möglich ist, aktiv in das laufende Traumgeschehen einzugreifen, kann von „Arbeit mit Träumen“ im eigentlichen Sinn gesprochen werden. Was in der täglichen Psychotherapiepraxis geschieht, sind streng genommen
Mitgeteilt werden in der Therapie also Erinnerungen oder Fragmente davon, die sich nach dem Aufwachen nach den Gestaltgesetzen mit anderen Bewusstseinsinhalten verbinden und ein neues Ganzes (oder auch mehrere) bilden können. Was davon einem bestimmten Gegenüber (in unserem Fall der Psychotherapeutin) mitgeteilt wird und mit welcher Akzentuierung dies geschieht, unterliegt dabei abermals einer Selektion und Veränderung durch die Einbettung in einen neuen Beziehungskontext.
Die Gestalttheoretische Psychotherapie geht im Unterschied zu naiv-phänomenalen Vorstellungen in anderen Therapierichtungen nicht davon aus, dass alles, was der träumenden Person begegnet, „abgespaltene und nach außen projizierte Teile“ seiner selbst wären (zum Projektionsbegriff vgl. Fuchs 2016) und es daher in der Bearbeitung von Traumerinnerungen stets um Integration oder Assimilation dieser abgespaltenen Anteile ginge (siehe dazu Stichwort Traum sowie Stemberger 2010 und Stemberger 2019). Diese Möglichkeit wird vielmehr nur als eine von vielen gesehen; vorschnelle Annahmen werden vermieden zugunsten eines geduldigen phänomenologischen Erforschens der angebotenen Traumerinnerung gemeinsam mit der Klientin.
Max Wertheimer plädierte bereits in seinen Vorlesungen der frühen 1940er-Jahre dafür, nicht einzelne spezifische Elemente eines Traums zu analysieren (wie damals in psychoanalytischen Settings üblich), sondern zunächst die allgemeine, grundlegende Kernaussage eines Traums zu erfassen, um dann zu erforschen, wie die unterschiedlichen Elemente in den Traum als Ganzes passen (vgl. Brett/Wertheimer 2009, 218).
Ähnlich wie auch bei anderen Berichten über Erinnertes wird in der Gestalttheoretischen Psychotherapie auch bei Traumberichten darauf geachtet, dass die Exploration der berichteten Ereignisse so lebendig und erlebnisnah erfolgt, wie es die Situation erfordert und es der Klientin zuträglich ist. Dazu können Vorschläge gehören, das Erinnerte in der Gegenwartsform zu erzählen, es in Szene zu setzen, zwischen verschiedenen Protagonisten der Traumerzählung zu wechseln, die Traumgeschichte „vor- und zurück zu spulen“, eine Fortsetzung der Traumgeschichte zu erfinden usw. usf.
Erlebnisnah zu arbeiten heißt jedoch nicht in jedem Fall, ganz nah an die Ereignisse heranzugehen, in sie als gegenwärtiges Geschehen einzutauchen: Bei Berichten über stark verstörende Traumererinnerungen kann erlebnisnah gerade umgekehrt bedeuten, ein möglichst intensives Erleben der zeitlichen und räumlichen Distanz zu diesen Geschehnissen anzuregen (vgl. dazu Sternek 2014).
Die psychotherapeutische Aufarbeitung von Traumerinnerungen kann den KlientInnen oft einen neuen Zugang zu ansonsten nicht bewussten oder nicht beachteten Aspekten ihres Lebens, ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten und ihrer Beziehungen zu anderen Menschen erschließen. Ihren TherapeutInnen ermöglicht diese Bearbeitung, ihre KlientInnen besser zu verstehen und sie besser kennen zu lernen. Sie veranschaulichen nicht nur deren Gefühle, Gedanken, Sorgen und Probleme, deren Umgang mit unterschiedlichen Menschen aus ihrem Umfeld, deren Konfliktbewältigungsstrategien und Handlungsweisen, sie können auch wichtige Informationen über den Therapieprozess und die therapeutische Beziehung liefern:
Der gestalttheoretisch orientierte Psychotherapeut und Psychoanalytiker Giancarlo Trombini weist darauf hin, dass Traumerzählungen im Rahmen einer Therapie auch über die therapeutische Beziehung Auskunft geben und sogar unmittelbar Botschaften an die TherapeutIn darstellen können (vgl. Trombini 2014, Galli & Trombini 2013). Darüber hinaus kann die Entwicklung der Beziehungsqualitäten in den Traumerinnerungen und den nachfolgenden Assoziationen bzw. ihrer nachfolgenden Bearbeitung auch Aufschluss über den Therapiefortschritt geben (vgl. Trombini et al. 2019). Fortschritte (oder auch Stagnation und Rückschritte) zeigen sich vor allem darin, dass sich die Qualität der in den Traumberichten vorkommenden Beziehungen verändert (im günstigen Fall zu positiveren und prägnant-komplexeren Beziehungen)(Trombini u.a. 2019) und dass es (im gelungenen Fall) zu einer Aussöhnung der erlebten Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der KlientInnen kommt (Trombini u.a. 2020, 2021).
Paul Tholey: Gestalttheorie von Sport, Klartraum und Bewusstsein. Ausgewählte Arbeiten, hrsg. und eingeleitet von Gerhard Stemberger
Wien: Verlag Wolfgang Krammer
ISBN 978 3 901811 76 0 | 284 Seiten | Preis 36,00 Euro